Die Entwicklungsphasen des Kindes

Stufen der ICH-Werdung

"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr", dieser Satz ist offensichtlich falsch in einer Zeit, in der lebenslanges Lernen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Von einem entwicklungspsychologischen Standpunkt aus betrachtet, hat er jedoch seine Gültigkeit. Das Kind, ebenso wie der Erwachsene, entwickelt bestimmte Fähigkeiten in bestimmten von der Natur mehr oder weniger vorgegebenen Phasen. Wenn, mangels eines förderlichen Umfeldes, die entsprechenden Entwicklungsschritte in der ihnen bestimmten Phase nicht durchlebt werden konnten, sind sie später nur mehr in beschränktem Maße nachholbar.

Das FUTURE-Core-Coaching bietet hier zwei Ansätze einer Lösung: Zum einen hilft es, Defizite aus vergangenen Entwicklungsphasen, soweit es eben möglich ist, zu beheben. Zum anderen hilft es, das Wesen, die eigentliche Essenz des Menschen freizulegen, durch die so manche Defizite neutralisiert werden können. Und noch einen Trost möchte ich der Darstellung der einzelnen Entwicklungsphasen vorausschicken: Viele große Persönlichkeiten haben große Defizite aus ihrer Kindheit ins Erwachsenenalter mitgenommen. Wie konnten sich aus großen Defiziten große Persönlichkeiten entwickeln? Nehmen wir Ludwig van Beethoven als Beispiel: Es waren wahrscheinlich gerade seine Defizite – Beethoven muss seinen Zeitgenossen wohl als ziemlicher Spinner erschienen sein - die ihn auf eine besondere in seinem Wesen liegende Begabung zurückwarf, die Musik, die ihm ermöglichte, Werke zu schaffen, welche die Jahrhunderte überdauern und vielen Millionen von Menschen das Herz geöffnet, viele Millionen Menschen auf das in ihnen liegende Gute, Wahre und Schöne hingewiesen haben. Und hier kommt wieder das FUTURE-Core-Coaching ins Spiel, mit dessen Hilfe im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte ungezählte Menschen ihre Bestimmung finden, ihr besonderes Charisma zur Entfaltung bringen konnten. Und vielleicht hätten sich manche von ihnen gar nicht darauf eingelassen, wenn sie der Druck ihrer Defizite nicht dazu getrieben hätte.

Die hier aufgezeigten Entwicklungsphasen des Kindes sollen Eltern helfen, ihr Verhalten als Eltern immer wieder zu reflektieren, um ihre Kinder in möglichst förderlicher Weise begleiten zu können. Sie werden vielleicht auch Anstoß geben zu einem Rückblick auf die eigene Kindheit, um manche der dort angesammelten Schätze zu heben und anzuerkennen und mit eventuellen Defiziten Frieden zu schließen. Sie könnten schließlich den FUTURE-Coaches dazu dienen, manche der Verhaltensweisen ihrer CoachingpartnerInnen besser zu verstehen und punktgenau hilfreiche Maßnahmen zu setzen.

Sie möchten mehr über die Entwicklung des Menschen erfahren? Sie sind auf der Suche nach einer Begleitung in Ihrer Rolle als Eltern oder Pädagoge, dann kontaktieren Sie uns bitte für ein persönliches Gespräch:

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Hier nun die Entwicklungsphasen im Einzelnen:

Verschmelzung 0 – 1 1/2 Jahre

Das neugeborene Menschenkind ist zwar körperlich durch die Geburt getrennt von seiner Mutter, aber es hat sich noch nicht als eigenständiges "körperliches Ich" begriffen. Es erlebt sich als "verschmolzen" mit seiner Mutter und seinem unmittelbaren Umfeld. Anthropologen nennen dieses Einheitsbewusstsein archaisch (=ursprünglich). Vielleicht wollen manche von ihnen damit zum Ausdruck bringen, dass das Neugeborene noch ganz eng mit seinem transzendenten Ursprung verbunden ist – mit einem Fuß noch im Himmel, mit dem andern schon auf der Erde.

Es entspricht der Natur des Kindes im ersten Lebensjahr, dieses Verschmolzen sein zu leben und auszukosten – einerseits durch den Körperkontakt, andererseits durch den Wesenskontakt, also den Kontakt mit dem Menschenkind selbst, das aus dem Körper herausleuchtet und -strahlt. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass das Kind die Entwicklungsaufgabe dieser ersten Lebensphase zu erfüllen vermag:

Sich als ein eigenständiges körperliches Wesen zu begreifen und den Willen zu "körperlichem Sein" auszufalten.

Was, wenn es dem Baby versagt wird, dieses Bedürfnis nach Verschmelzung zu leben? Es wird ihm schwerfallen, ein "physisches Ich" zu entwickeln. Der Mensch wird sich ein Leben lang nach Verschmelzung sehnen, und nichts wird ihm darin wirklich Befriedigung verschaffen. Diese Sehnsucht wird ihn zu Verhaltensweisen und Entscheidungen treiben, die ihm eine Menge Leid bescheren, seine Gesundheit schädigen. Vielleicht wird er nie richtig in seinem Körper ankommen, nie richtig in seinen Körper hineinfinden und im allerschlimmsten Fall von einer schweren psychischen Krankheit heimgesucht werden (affektive oder schizophrene Psychose).
Ein zweites Bedürfnis, welches jenem der Verschmelzung scheinbar widerspricht, sei hier erwähnt: Als das eigenständige, unverwechselbare, einzigartige Wesen, das eine jede und ein jeder ist, erkannt und geachtet und wahrgenommen und angestrahlt zu werden. Dies impliziert ein Verständnis von Erziehung als ein zugewandtes, wahrnehmendes, warmherziges, unterstützendes Begleiten des Kindes auf dem in seinem Wesen angelegten Lebensweg.
 

Differenzierung 1 – 3 Jahre

Wenn sich das Kind auch im Laufe der ersten Entwicklungsphase körperlich von seinem Umfeld differenziert hat, so ist es emotional doch noch damit verschmolzen, vergleichbar dem Schaf in der Herde, dem Schützen in der Kompanie, dem Fan am Fußballplatz, in seiner Individualität absorbiert von der Gemeinschaft, der es sich zugehörig fühlt.

In der sogenannten Trotzphase lernt das Kind, Nein zu sagen und seinen eigenen Willen durchzusetzen, es beginnt, sich von seinen Bezugspersonen zu unterscheiden, sich selbst nicht nur körperlich sondern auch emotional als ein Ich, den anderen als ein Du zu erfahren.
 
"Ich bin, ich will, ich mach's selber",
lautet seine Botschaft, und das ist es genau, was es für sein Leben auszufalten hat. Voraussetzung für das Gelingen dieses Entwicklungsschritts, ist, dass es sich bejaht, geliebt und angenommen fühlt, dass es die Zuwendung und gleichzeitig die Freiräume bekommt, die es braucht. Es muss spüren, welche Freude es den Menschen durch sein Dasein bereitet.
 

Wird das Kind abgelehnt und abgewertet, abgeschoben und alleingelassen, dann bekommt sein "emotionales Ich" nicht die Nahrung, die es zu seinem Gedeihen benötigt. Es wird verkümmern. Der Mensch wird ein Leben lang bedürftig bleiben, und keine noch so schönen Kleider, Autos, Frauen, Paläste, keine Machtpositionen, keine Olympiasiege, keine akademischen Titel und sonstigen Trophäen, auch keine noch so süßen Speisen werden seinen Hunger nach "Ich bin" zu stillen vermögen. Vielleicht wird das Kind zu einer Persönlichkeit heranwachsen, die andere von sich abhängig macht oder sich in Abhängigkeiten von anderen begibt, vom Familienclan, von der Arbeit, von religiösen Gruppen, politischen Parteien und sonstigen Glaubensgemeinschaften wie Stammtische, Kiffergruppen, Golffahrer…, von ÄrztInnen, TherapeutInnen, SeminarleiterInnen, vom Fernseher, dem Computer oder dem Spielautomaten.

Anthropologen haben auch für diese Kategorie eines nicht differenzierten "emotionalen Ichs" eine Bezeichnung. Sie sprechen vom magischen Bewusstsein und beziehen sich dabei auf Volksstämme, die in enger Symbiose zusammenleben, wobei Tradition und Rituale den Kitt ihrer Gemeinschaft bilden, ausgeliefert ihren Göttern und Geistern, ihrem gemeinsamen Schicksal – das Schicksal des ganzen Stammes ist das Schicksal des Einzelnen, das Schicksal des Einzelnen wird als das Schicksal des ganzen Stammes empfunden.

Zurück zu unseren Kindern: "Unter einer großen Eiche wachsen nur Schwammerln", heißt es. Sehr patriarchale Väter können die Entfaltung des "emotionalen Ichs" be- oder verhindern. Auch jene Mütter und Großmütter, die sich dem Kind überstülpen und es zur Befriedigung ihrer eigenen neurotischen Bedürfnisse missbrauchen, ersticken das Wachstum eines emotionalen Ichs, verhindern, dass sich das Kind von seinem Umfeld abzugrenzen lernt und fähig wird, zu sich selbst zu stehen. Die Gewaltausbrüche vieler Jugendlicher könnten in einer tiefen Frustration während dieser zweiten Entwicklungsphase ihren Ursprung haben. Gerade weil es ihnen an Abgrenzung fehlt, schwappt dann das unterdrückte, zerquetschte "emotionale Ich" über ihre Persönlichkeit hinweg und reißt sie zu Handlungen hin, über die sie keinerlei Kontrolle zu haben scheinen (Borderline Syndrom).

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang das Phänomen der Identifikation des Kindes mit einem Elternteil, mit der Beziehung der Eltern oder mit dem gesamten Familiensystem. Das Erstgeborene tendiert häufig dazu, sich mit dem Vater zu identifizieren. Wenn nun die Mutter den Vater gering schätzt, ablehnt oder zurückweist, wird sich das Kind ebenso gering geschätzt, abgelehnt und zurückgewiesen fühlen, und seine Möglichkeiten, sein "emotionales Ich" zu entfalten, werden dadurch eingeschränkt. Wenn sich die Mutter dem Vater in positiver Weise zuwendet, wird das Kind diese Zuwendung auch auf sich beziehen und davon profitieren. Dasselbe gilt, umgekehrt, für das zweite Kind, welches sich eher mit der Mutter identifiziert, während das dritte dazu neigt, sich mit dem, was die Beziehung der Eltern ausmacht, und das vierte, mit dem, was das gesamte Familiensystem ausmacht, gleichzusetzen. Es übt also auch die Qualität der Beziehung der Eltern zueinander und jene des gesamten Familiensystems einen maßgeblichen Einfluss auf die Ausfaltung des "emotionalen Ichs" des Kindes aus.

Der Begriff "Trotzphase" bringt nicht auf den Punkt, worum es in diesem Lebensabschnitt geht. Das Kind wird dann trotzig, wenn ihm signalisiert wird: "So wie du bist, bist du nicht in Ordnung". Dies kann auf zwei Arten passieren: Einerseits dadurch, dass es gestoppt wird, andererseits dadurch, dass man es die eigenen Grenzen überschreiten lässt, und es sich dadurch als eine ständige Überforderung für sein Umfeld erlebt.

Wichtig also, dass die Eltern und Begleiter des Kindes diesem einerseits mit bedingungsloser Wertschätzung begegnen, andererseits aber auch ihre Grenzen deutlich machen. Wenn das Kind Grenzen überschreitet, es nicht zurückweisen! Nicht sich zum Opfer machen! Also nicht: "Du bist böse, weil du Grenzen überschreitest" sondern aus der Bejahung der eigenen Grenzen heraus, das Kind zur Kooperation bewegen und die Energie des Kindes in konstruktive Bahnen umlenken! Die Herausforderung, vor die das Kind seine Eltern und Begleiter stellt, mag als die Quadratur des Kreises erscheinen: Sowohl das Kind als auch die eigenen Grenzen zu bejahen. Und es geht ja nicht nur um die eigenen Grenzen! Es geht auch um die Grenzen anderer. Und es geht um den Schutz des Kindes. Stellen wir uns vor, das Kind möchte partout mit einem gefährlichen Gegenstand spielen! Selbstverständlich werden wir ihm diesen Gegenstand aus der Hand nehmen müssen. Hoffentlich gelingt es uns in der Folge, die Aufmerksamkeit des Kindes auf einen anderen attraktiven Gegenstand zu lenken, sodass sein Energiefluss nicht gestoppt sondern umgelenkt wird.

Kinder fordern uns, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung verlangt uns ein hohes Maß an innerer Ausgeglichenheit und Zentriertheit ab. Sie geht nicht so nebenbei. Wir müssen uns darauf einstellen. Und wir machen Fehler dabei. Alle Eltern und Erziehenden machen Fehler. Alle Eltern und Erziehenden fügen ihren Kindern seelische Verletzungen zu. Es gibt keine perfekte Elternschaft. Wenn wir uns als Begleiter unserer Kinder weiterentwickeln wollen, dann sind Schuldgefühle ein schlechter Ratgeber. Kinder verzeihen uns unsere Fehler, wenn sie sich grundsätzlich geliebt fühlen. Also können wir sie uns auch verzeihen. Gestehen wir unsere Fehler ein, und lernen wir daraus! Bringen wir in die Balance, was wir vorher aus der Balance gebracht haben! Und beginnen wir immer wieder von neuem, unseren Kindern zugewandte, wahrnehmende, wertschätzende, warmherzige, unterstützende Begleiter zu sein! Unsere Kinder weisen uns selbst den Weg dazu.

Warum bringen uns unsere Kinder immer wieder an unsere Grenzen? Es ist offensichtlich in der Natur so eingerichtet, dass das Kind seinen Finger auf die Schwachpunkte seiner Eltern legt und sie so darauf hinweist: "Schau da hin! Hier gibt es etwas zu entwickeln." Es gilt zu verstehen, dass nicht nur die Eltern ihren Kindern Begleiter in deren Entwicklung, sondern ebenso die Kinder ihren Eltern Begleiter in ihrer Entwicklung sind.
 

Denken 3 – 7 Jahre

Hand in Hand mit der Entwicklung des Sprechens, beginnt das Kind, Fragen zu stellen ("Warum, warum ist die Banane krumm?") – es entwickelt das Denken. Und es entwickelt ein mentales Konzept von sich selbst, ein Selbstbild, indem es sich mit bestimmten Eigenschaften identifiziert. Freilich entspricht dieses Selbstbild weitgehend dem, was die Eltern ihm signalisiert haben, dass es sei. Und freilich mischt sich dazu auch das Selbstbild der Eltern, das, was Vater und Mutter übereinander und über ihre Beziehung denken. Wie auch immer, aus diesem Selbstbild heraus tritt das Kind künftig mit anderen in Beziehung.

Das Denken bringt einen Sinn für Zeit mit sich, für Vergangenheit und Zukunft. Die Unmittelbarkeit des Seins in der Gegenwart, wie sie dem Kleinkind zueigen ist, tritt in den Hintergrund. Das Kind leitet mehr und mehr sein Sein in der Gegenwart aus der Vergangenheit ab und macht sich Hoffnungen für die Zukunft. Es verliert seine "Unschuld". Tatsächlich taucht in dieser Lebensphase erstmals das Phänomen von Schuld auf – Schuld, nicht dem System (System = die bewussten und unbewussten Strukturen, Muster, Urteile, Ver- und Gebote…) der Gemeinschaft, der es sich zugehörig fühlt, zu entsprechen.

Das System der Gemeinschaft, der sich das Kind zugehörig fühlt, formt das System seines Denkens. Einfach ausgedrückt: Wie die Gemeinschaft, der sich das Kind zugehörig fühlt tickt, so tickt auch das Denken des Kindes. Dies führt für viele Kinder zu einer dramatischen Situation, wenn sie in die dritte Entwicklungsphase eintreten, ein Drama, das häufig in immer wiederkehrenden Angstträumen seinen Ausdruck findet. Denn die Art des Tickens der Gemeinschaft stimmt nicht immer mit dem Wesen des Kindes überein, und so sieht es sich gezwungen, sein Wesen dem System seines Denkens (mentales Ich) unterzuordnen. Sein Denken tut seinem Wesen Gewalt an. Aber auch sein Wille zu körperlichem Sein (physisches Ich) und sein Eigenwille (emotionales Ich) kollidieren mitunter mit dem System der Gemeinschaft, und somit mit dem System seines Denkens, ein Konflikt, in welchem das Denken gemeinhin die Oberhand behält. Das Kind fühlt sich also in seinem Wesen ebenso wie in seinem "physischen und emotionalen Ich" bedroht durch das System seines Denkens, durch sein mentales Ich (im Traum ist das mentale Ich oft symbolisiert durch eine übermächtige, angsteinflößende Figur).

In dem Maße, in welchem das System der Gemeinschaft, der sich das Kind zugehörig fühlt, geprägt ist durch starre moralische Vorstellungen, Tabus, Ressentiments, Ängste, die allesamt keinen Raum lassen für Liebe, Herzenswärme, Empathie, Neugierde und Entdeckungslust, wird das "mentale Ich" dem, was der Mensch in seinem Kern ist, jegliche Existenzberechtigung absprechen. Das "mentale Ich" wird zu einem alles dominierenden Ungeheuer. Der Mensch wird, einmal erwachsen geworden, nur innerhalb eines engen Korsetts imstande sein, wahrzunehmen, zu fühlen, zu denken, zu handeln, Beziehungen zu leben, und zwar innerhalb des Korsetts des Systems, dem er sich zugehörig fühlt. Er wird nur in sehr beschränktem Maße das Wesen, das er ist, und die darin angelegten Potenziale zu entfalten vermögen oder gar echte, lebendige, unmittelbare Spiritualität zu entwickeln.

Je förderlicher das Umfeld des Kindes mit dessen ganzheitlicher Bedürfnislage umgeht, je mehr Raum die Gemeinschaft, der sich das Kind zugehörig fühlt, der Entfaltung der einzelnen Individuen gibt, je mehr Verständnis die einzelnen Individuen in der Gemeinschaft für ihr Sosein erhalten, desto kooperativer wird sich das "mentale Ich" entwickeln, desto selbstverständlicher wird es dem "physischen und emotionalen Ich" ihren Platz im gesamten Menschsein zuerkennen und dem Wesen als Instrument dienen, in Beziehung zu treten, sich zum Ausdruck zu bringen, schöpferisch tätig zu sein.

Wenn es aber wenig Kooperation innerhalb der Gemeinschaft gibt, keine Werte, die die Gemeinschaft zusammenhalten, wenig Beziehungsfluss zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern, wenn das Kind vernachlässigt oder gar verwahrlost auf der Strecke bleibt, könnte das "mentale Ich" verkümmern, sodass es nicht in der Lage ist, dem physischen und "emotionalen Ich" ihren Platz zuzuweisen. Das Kind würde nur in eingeschränktem Maße soziale Fähigkeiten entwickeln, sein "physisches und emotionales Ich" würden dazu tendieren, in krankhafter Weise auszuufern.
 

Außerfamiliäre Gemeinschaften 7 – 14 Jahre

Mit dem Eintritt des Kindes in die Schule gewinnen außerfamiliäre Gemeinschaften an Bedeutung – die Schulklasse, ein Freundeskreis, Kinder- und Jugendgruppen... In diesen Gruppen bilden sich Hierarchien, Rollenfestlegungen und Regeln. Solche Gemeinschaften stellen ein wichtiges Lernfeld für das Kind dar, einerseits zur Entwicklung des sogenannten Regel-Rollen-Bewusstseins, andererseits für viele Fertigkeiten. Kinder lernen oft besser von Kindern als von Erwachsenen. Und sie müssen lernen, sich unter ihresgleichen zu behaupten, "wer zu sein", wobei dieses "Wer" maßgeblich bestimmt ist durch die Rolle des Kindes in der Gemeinschaft. Zum "körperlichen, emotionalen, mentalen Ich" gesellt sich nun ein Rollen-Ich bzw. das "soziale Ich". Die Gemeinschaft wird wichtig, sie wird neben der Familie zu einer zweiten Heimat, zu der das Kind einen hohen Grad an Identifikation entwickelt. Freilich kommt es innerhalb der Gemeinschaft zu ständigen Rangkämpfen, gleichzeitig sieht sich die Gemeinschaft als ganze in Rivalität zu anderen. Der Drang, dazu zu gehören, wird in dieser Lebensphase zu einem machtvollen Handlungsmotiv, Ausgeschlossen sein ist die größte Bestrafung. Daraus erklärt sich ein mehr oder weniger ausgeprägter Hang zu Konformismus und der Konflikt des Kindes zwischen der Moral, die sich ihm durch seine Familie eingeprägt hat, und jener der Gruppe. Was das Kind von seinen Eltern in dieser Lebensphase braucht: Das Angebundensein an die Familie mit einer langen Leine, die es ihm ermöglicht, seine Erfahrungen zu machen, die es aber auch vor gröberen Abstürzen bewahrt. Vor allem braucht es, dass ihm die Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, um die Erlebnisse in der Kindergruppe verarbeiten zu können.
 
Die Pubertät 14 – 19 Jahre
Es liegt in der Natur dieser Phase, dass sich der junge Mensch von seinen Eltern und von seiner Abhängigkeit von der Erwachsenenwelt löst, um sich auf sein eigenes Erwachsensein zuzubewegen. Eltern stehen nun vor der Herausforderung, die Leine loszulassen, durch die das Kind bislang mit ihnen verbunden war, und es in dieser Ungebundenheit dabei zu unterstützen, seinen Weg zu finden.

Für den jungen Menschen geht es zunächst darum, sich zwischen den vier bislang entwickelten Ichs, dem körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen, zu orientieren. Eine große Herausforderung, weil sie untereinander oft im Widerstreit stehen. Ordnung kann hier nur eine darüber hinausreichende Instanz schaffen – wir könnten sie "das eigentliche Ich" nennen oder das Selbst. Das Selbst ist der Identifikation mit dem Körper, mit den Gefühlen, mit dem Denken, mit den Rollen und Gruppen übergeordnet, es stellt die eigentliche Identität des jeweiligen Menschen dar, das einzigartige, unverkennbare Wesen, das er ist. Die Entdeckung des Wesens ermöglicht dem jugendlichen Menschen, auf seine vier Ichs – gleichsam - draufzuschauen, sie zu beobachten, zu reflektieren, ihnen nicht mehr blindlings ausgeliefert zu sein, selbst wenn sie, insbesondere durch die erwachende Sexualität, mitunter übermächtig erscheinen. Die Bestimmung der vier Ichs liegt darin, mehr und mehr zu Instrumenten des Wesens zu werden, sich in der konkreten Welt zu manifestieren und zu verwirklichen.

Die Entdeckung des Wesens bringt eine neue Qualität von Beziehung zur Welt mit sich, verglichen mit jener des Kindes. Das Kind nimmt die Welt wahr und erlebt sich als von ihr abhängig. In der Adoleszenz erwacht der Anspruch, die Welt zu gestalten, zu verändern, zu verbessern. Aus diesem Gestaltungswillen ergibt sich – oft mühsam erlernt - Verantwortung für das eigene Handeln und die sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Wie die pränatale Phase der Kindheit vorgespannt ist, so bildet die Pubertät die pränatale Phase zum Erwachsensein. Wenn aber die Pubertät nicht gelingt, wenn die Selbstwerdung des jungen Menschen nicht gelingt, dann wird er eben auch als Erwachsener kein Selbst sein, im Regel-Rollen-Bewusstsein oder anderen früheren Bewusstseinsformen stecken bleiben und schwerlich imstande sein, einen förderlichen Beitrag zur Entwicklung der Menschheit zu leisten.
 

Die Welt

Werfen wir vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Entwicklungsphasen des Kindes einen Blick hinaus auf die Welt!

  • Der Wunsch nach Kindern ist natürlich, und insbesondere bei Frauen wohl auch hormonell bedingt. Mit dem in die Welt setzen des Kindes ist es aber nicht getan. Das Begleiten des Kindes durch die einzelnen Entwicklungsphasen ist eine der höchsten und herausforderndsten Aufgaben, die uns das Leben beschert. Und es ist einer der hochwertigsten Beiträge, die wir für die Zukunft der Menschheit zu leisten vermögen. Gibt unsere Gesellschaft - geben wir – dieser Aufgabe den ihr entsprechenden Stellenwert?
  • Ebenso natürlich wie der Kinderwunsch ist der Wunsch, eine glückbringende Partnerschaft zu leben. Sind wir uns dessen bewusst, dass Partnerschaft nicht nur für die Partner sondern in noch viel größerem Maß für die Kinder glück- oder unglückbringend ist? Dass wir daher als Eltern doppelt herausgefordert sind, unsere Partnerschaft weiter zu entwickeln, weil nicht nur unser eigenes Glück sondern auch das unserer Kinder und deren Kinder und deren Kinder davon abhängt?
  • Und noch etwas sei hier erwähnt, das wohl in der Natur des Menschen angelegt ist, das Herzensanliegen, dass Kinder glücklich seien, und zwar nicht nur die eigenen sondern die Kinder grundsätzlich. Wir alle bilden den Boden, auf dem die Kinder gedeihen oder verkümmern: Was folgt daraus nicht nur für uns als Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten, nicht nur für PolitikerInnen, Personalverantwortliche in den Betrieben, PädagogInnen, auch für uns als Freunde, Nachbarn, als Ältere, Erfahrenere, Gebildetere, Wohlhabendere?
  • Viele Menschen hatten zumindest 1 – 2 Lehrerpersönlichkeiten, die sie als einen Schatz für ihr ganzes Leben aus ihrer Schulzeit mitnehmen. Es handelt sich dabei um genau jene, die dem Kind bzw. Jugendlichen in der jeweiligen Entwicklungsphase gerecht geworden sind, für die Klasse nicht Masse sondern ein Miteinander einzelner wertzuschätzender Individuen bedeutete, von denen sich die SchülerInnen verstanden, geachtet, geliebt gefühlt haben. Bildet die Begleitung von Kindern und Jugendlichen in ihrer jeweiligen Entwicklungsphase einen Schwerpunkt in der Lehrerausbildung? Gehört sie zu Qualitätskriterien für den Unterricht?

Zum Abschluss unserer Betrachtung stellen wir uns die Frage, welche Entwicklungsstufen wir in unserer Welt wo beobachten können:

  • Der Typus Esoteriker (die Typologie sagt nichts über den einzelnen esoterisch interessierten Menschen aus) zeichnet sich durch einen Mangel an Bodenhaftung aus, an Anpacken und in die Wirkung Kommen aus, zeigt sich wohl eine Schwäche im "physischen Ich". Bei Figuren wie Bud Spencer ist das "physische Ich" offensichtlich dominant.
  • In Partnerschaften ebenso wie in Geschwisterbeziehungen, wenn es darum geht, wer sich wie durchsetzt, zeigt sich das "emotionale Ich". Ebenso in patriarchalen Strukturen wie Familienclans, staatlichen Einrichtungen, Familienunternehmen und anderen Gemeinschaften, die gekennzeichnet sind durch fixe Zugehörigkeiten, sich allmächtig fühlende Autoritäten bzw. andere, die sich von diesen Autoritäten abhängig machen. Die immer mehr überhand nehmende Xenophobie scheint, wie jede Form des Chauvinismus, auch ein Phänomen des "emotionalen Ichs" zu sein.
  • Im Typus "Manager" (die Typologie sagt nichts über den einzelnen Menschen, der einen Beruf als Manager ausübt, aus) kommt die Vorherrschaft des "mentalen Ichs" zum Ausdruck, welches, wenn nicht vom Wesen gesteuert, alles nur aus der Brille seines Systems zu betrachten imstande ist, und in welchem subjektive Empfindungen wie Liebe, Mitgefühl, Authentizität, Lebenslust und Lebensfreude, Ethik des Herzens… keinen Platz finden.
  • In der Politik wiederum spiegelt sich sowohl das emotionale als auch das Rollen-Ich mit seinen Rangkämpfen und der Rivalität der Gemeinschaft mit anderen Gemeinschaften wider.
  • Das grundsätzliche Unbehagen vieler junger Menschen mit der Welt könnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass sie sich nicht mehr damit abfinden wollen, dass der Mensch in seiner Wesenhaftigkeit, außer in wenigen Lichtgestalten, im öffentlichen Bewusstsein keine Rolle spielt und sich im öffentlichen Leben kaum wo abbildet. Es wird also höchste Zeit, dass der Mensch kollektiv endlich in die Pubertät kommt, dass ihm nicht nur körperlich sondern auch seelisch endlich Brüste wachsen oder dass der Stimmbruch einsetzt.

Wolfgang Stabentheiner

Mit Dank an Annemarie Schallhart, deren Abschlussarbeit im Rahmen ihrer Coaching-Ausbildung, als Inspiration für diesen Artikel diente.

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